A.1 Zugversuch
A.2 Zeitstandversuch
A.3 Schwingversuch
A.4 Festigkeitslehre
A.5 Kerbwirkung
A.6 Bruchmechanik
A.7 Härteprüfung
B.1 Kristallgeometrie
B.2 punktförmige Gitterbaufehler
B.3 Linienförmige Gitterbaufehler
B.4 Einkristallverformung und Vielkristallverformung
B.5 Erholung
C.1 Zustandsdiagramme 1
C.2 Zustandsdiagramme 2
C.3 ZTU-Diagramme
C.4 Ausscheidungen
C.5 Benennung von Eisen-Kohlenstofflegierungen

A.2.2 Zeitdehn- und Zeitstandschaubild

Die Auswertung des Zeitstandversuchs wird in einem Zeitdehnschaubild und in einem Zeitstandschaubild dargestellt.

Das Zeitdehnschaubild ist ein doppelt-logarithmisches Dehnungs-Belastungsdauer-Diagramm, das heißt es wird die logarithmische plastische Dehnung über die logarithmische Zeit aufgetragen. Die Dehnungen sind abhängig von der Spannung, der Temperatur T und der Belastungsdauer t. Es können deshalb Zeitdehnschaubilder nur zu jeweils einer Prüftemperatur erstellt werden, welche viele einzelne Zeitstandversuche mit demselben Werkstoff umfassen. Bei konstanter Prüftemperatur wirkt sich die Spannung antiproportional auf die Belastungsdauer aus, das heißt die Kurven verschieben sich bei einer größeren Spannung in Richtung kürzerer Belastungszeiten, um dieselbe Dehnung erreichen zu können. Diese Kurven werden als Zeitdehnkurven bezeichnet.

Temperatur- und Spannungsabhängigkeit im Zeitdehnschaubild

Im einfachen, nicht-logarithmischen Zeitdehndiagramm lassen sich beim Zeitstandversuch verschiedene Bereiche mehr oder weniger deutlich voneinander abgrenzen. Diese Bereiche bezeichnet man als primären, sekundären oder tertiären Kriechbereich.

Beim primären Kriechen oder Übergangskriechen kommt es zur spontanen Dehnung, die auch als viskoses Fließen bezeichnet wird (s. Lektion 2.1). Die spontane Dehnung ist elastisch und reversibel, das heißt wie beim Zugversuch kommt es bei einer Entlastung zu einer Rückfederung und die Probe kehrt wieder zur Anfangslänge zurück.

Der sekundäre Kriechbereich wird auch stationärer Kriechbereich genannt, weil hier die Dehnung linear mit der Zeit zunimmt und die Dehnrate konstant ist. Hierbei tritt erstmalig eine irreversible plastische Verformung auf. Die Kriechgeschwindigkeit ist in diesem Bereich neben der Betriebstemperatur auch von der Spannung abhängig. Im doppelt-logarithmischen Dehngeschwindigkeits-Spannungs-Diagramm lässt sich dabei ein proportionaler Zusammenhang, also eine Gerade, erkennen. Diese Gerade wird mithilfe des Norton‘schen Kriechgesetzes beschrieben. Der Exponent n nimmt für viele Werkstoffe einen Wert zwischen 3 und 8 an. A ist ein temperaturabhängiger Parameter.

Norton’sches Kriechverhalten im Zeitdehnschaubild

Auf den geraden Abschnitt der Zeitdehnkurve folgt abschließend das tertiäre Kriechen. Hier nimmt die Dehnung rapide zu, weil sich, wie beim Zugversuch auch, eine Einschnürung in der Probe ausprägt, die schließlich den Bruch der Probe bewirkt. In der Anwendung, also außerhalb der Werkstoffprüfung, lässt man nur das sekundäre Kriechen zu, weil man das Risiko eines Bruchs nicht eingehen darf.

Zeitdehnkurve (oben) und Kriechrate (unten)

Hochwarmfeste Werkstoffe brechen allerdings nicht duktil, sondern sehr spröde. Das bedeutet, sie versagen aufgrund von innerer Rissbildung anstatt wie stählerne Proben durch die Bildung einer Einschnürung, welche die lokale Spannung exponentiell erhöht. Durch das Fehlen einer Einschnürung kündigt sich das Versagen des Werkstücks oder der Probe nicht an, sondern geschieht plötzlich. Im Zeitdehndiagramm hochwarmfester Werkstoffe ist ein schwach oder gar nicht ausgeprägter stationärer Kriechbereich zu erkennen. Sie weisen stattdessen eher einen Wendepunkt zwischen dem primären und tertiären Kriechbereich auf.

Kriechkurve eines hochwarmfesten Werkstoff

Aus vielen Zeitdehnkurven aus dem Zeitdehnschaubild ergeben sich dadurch Zeitbruchkurven im Zeitfestigkeitsdiagramm beziehungsweise Zeitstandschaubild. Im Zeitstandschaubild wird im Gegensatz zum Zeitdehnschaubild die Spannung gegen die Belastungsdauer aufgetragen und beides logarithmisch dargestellt. Die Zeitbruchkurven beschreiben darin die Spannungen, bei denen eine vorgegebene Dehnung in Abhängigkeit von der Belastungsdauer bei konstanter Prüftemperatur erreicht wird. Für die Praxis sind meistens plastische Dehnungen von 0,2%, wie auch beim Zugversuch, und außerdem von 0,5% und 1% interessant. Diese findet man an den Zeitdehnkurven im sekundären und tertiären Kriechbereich. In der untenstehenden Grafik erkennst du die Umwandlung eines Zeitdehnschaubild in ein Zeitstandschaubild. Der Ausschnitt beschränkt sich dabei auf den oberen stationären und tertiären Kriechbereich.

Aus den Zeitbruchkurven lassen sich die anfangs genannten Kenngrößen bestimmen:

I. Die Spannung, bei der eine vorgegebene Dehnung bei einer vorgegebenen Prüftemperatur nach einer vorgegebenen Dauer erreicht ist, nennt sich Zeitdehngrenze Rpε/t/T. Der Index „p“ symbolisiert, dass es sich um die rein plastische Dehnung handelt. Die darauf folgende Dehnung ε gibt man in Prozent an, die Prüfdauer t in Stunden und die Prüftemperatur T in Grad Celsius. Da die Prüfdauer einige hundert Tausend betragen kann, bieten sich hier Dezimalpunkte an: 100.000 anstelle von 100000.

Um die Zeitdehngrenze eines Werkstoffs aus einem Zeitstandschaubild herauszulesen, sucht man als erst das Zeitstandschaubild zur passenden Temperatur raus. Darin liest man anschließend die Zeitdehngrenze als Spannung an der Zeitbruchkurve der vorgegebenen Dehnung nach einer gewissen Zeit ab.

II. Die Spannung, die in vorgegebener Zeit zu einem Bruch führt, wird als Zeitstandfestigkeit Ru/tu/T bezeichnet. Die Zeitstandfestigkeit kennzeichnet man mit einem „u“ und indiziert daraufhin Bruchzeit tu in Stunden und der Prüftemperatur T in Grad Celsius.

Zeitdehnschaubild und Zeitstandschaubild bei konstanter Temperatur

Für die Klausur solltest du aus dieser Lektion für dich mitnehmen, dass der Zeitstandversuch in Zeitdehn- und Zeitstandschaubildern graphisch ausgewertet wird. In Zeitdehnschaubildern kann anhand der Zeitdehnkurven die Dehnung über die Zeit abgelesen werden. Dabei prägen sich die drei charakteristischen Kriechbereiche aus, nämlich das primäre, sekundäre und tertiäre Kriechen. Das sekundäre Kriechen spielt eine besondere Rolle, da die Gerade im doppelt-logarithmischen Zeit-Dehnungs-Diagramm durch das Norton‘sche Kriechgesetz beschrieben werden kann. Weitere Beobachtungen zum stationären Kriechbereich stellen wir in der nächsten Lektion vor. Die Zeitdehnschaubilder lassen sich dann in Zeitstandschaubilder übersetzen. Dabei wird die Spannung über die Zeit aufgetragen und Zeitstandkurven für verschiedene Zeitdehngrenzen berechnet. Das Kriechverhalten eines Werkstoffs, welches durch einen Zeitstandversuch untersucht wird, wird durch die Zeitdehngrenze Rpε/t/T und die Zeitstandfestigkeit Ru/tu/T beschrieben. Für die Kenngrößen wird eine plastische Dehnung definiert und die Bruchzeit und Prüftemperatur angegeben.

Lukas Bernemann

Gründer

Funktionen: Website, Kundensupport, Werbekundenbetreuung

Kurse: Mechanik 1, Mechanik 2, Mechanik 3, Höhere Mathematik, English for Engineers